Hat sich schon mal jemand so richtig heimtückisch von hinten an dich herangeschlichen? Wahrscheinlich hast du einen riesigen Schrecken bekommen, als du diesen Leisetreter wahrgenommen hast. Weil Elektroautos praktisch kein Fahrgeräusch bei niedrigen Geschwindigkeiten erzeugen, gibt es jetzt eine neue EU Vorschrift, die dem Schutz der anderen Verkehrsteilnehmer dienen soll. Ich bin ein Elektroauto und ich möchte dir gerne erklären, was es damit auf sich hat.
Hurra! Eine neue Abkürzung: AVAS
AVAS steht für Acoustic Vehicle Alerting Systems. Seit dem 1. Juli 2019 ist es in der EU Pflicht, dass wir Elektroautos beziehungsweise Hybridfahrzeuge ein Fahrgeräusch erzeugen, damit wir uns nicht unbemerkt, weil quasi lautlos, arglosen Fußgängern, Radfahrern und anderen Verkehrsteilnehmern nähern können.
Jetzt ist jetzt nicht so, dass wir E-Fahrzeuge demnächst ständig ein bestimmtes Geräusch von uns geben und so den Verkehrslärm in Städten insgesamt noch beträchtlich erhöhen. Einer der wichtigen Vorteile der Elektromobilität soll schließlich der sein, dass der Lärmpegel sinkt. Du musst auch nicht als stolzer Fahrer solch eines Elektromobils bei offenem Fenster ständig ein „Brumm-brumm!“ in die Welt posaunen. Nein, wir Elektroautos sollen nur dann ein Geräusch erzeugen, wenn wir mit weniger als 20 km/h unterwegs sind.
Eine sinnvolle Regelung zum Schutz für jedermann
Ich kann dir versichern: Diese Regelung ist durchaus sinnvoll. Wenn ich mich nur langsam bewege, erzeugen meine Reifen kaum ein Abrollgeräusch, wenn ich nicht gerade über Kopfsteinpflaster fahre. Auch entstehen bei niedrigen Geschwindigkeiten wenig Windgeräusche: Du kannst machen, was du willst, wenn du mit weniger als 20 km/h rollst, kannst du einfach kein Wind-Geräusch erzeugen und dir eine steife Brise um den Kühler zischen lassen. Wenn aber durch das Fahren kein Geräusch entsteht, fehlt für viele Fußgänger ein wichtiges Signal, das ihnen mitteilt: „Achtung! Da kommt dein Auto!“
Lass uns beliebter sein als der Elektro Scooter
Beobachte einmal, was passiert, wenn sich die neuen Elektro Scooter auf dem Bürgersteig, wo sie eigentlich nichts zu suchen haben, durch die Fußgänger drängeln: Immer wieder sieht man, dass Passanten richtiggehend zusammenzucken, weil auf einmal ein größeres Objekt an ihnen vorbeifährt, von dessen Herannahen sie vorher nichts geahnt haben. So eine Begegnung ist in der Regel unangenehm, aber nicht gefährlich. Ganz anders sieht es da aus, wenn über 1.000 Kilo Auto unterwegs sind und auf einem völlig unvorbereiteten Fußgänger treffen. Genau deshalb gibt es jetzt die AVAS.
Übrigens, sollte dir an dieser Stelle spontan schlauerweise einfallen, dass taube Menschen auch, ohne irgendein Geräusch von Fahrzeugen wahrnehmen zu können, im Verkehr zurechtkommen, dann sei einfach mal festgestellt: Die sind das gewohnt und beobachten deshalb ihre Umgebung ganz anders, als ein Mensch, der sich auf seinen Gehörsinn sonst verlassen kann.
Ich tune den Geräusch-Generator auf Ferrari, obwohl ich nur ein winziges Elektroauto bin …
Die Vorstellung hat doch durchaus etwas: Du bist ein niedliches kleines Auto mit einem dezent summenden Nähmaschinenmotor, machst aber dank des Geräusch-Generators Töne, als käme gerade ein toller Sportbolide daher. Das wäre schon witzig zu sehen, wie die Leute dann gucken, oder?
Aber da hilft alles Wünschen nichts, denn genau das ist verboten. Die neue Verordnung schreibt vor, dass die Geräusche, die der Generator eines Elektroautos bei niedrigen Geschwindigkeiten (und auch beim Rückwärtsfahren) erzeugt, so ähnlich klingen müssen, wie die bei einem Verbrennungs-Fahrzeug. Ähnlich, aber nicht identisch.
Ingenieure haben noch gut zu tun
Da haben die Ingenieure wieder etwas zu tüfteln, damit wir E-Autos auch mit einer ordentlichen Stimme unterwegs sind, die als typisch für unsereinen erkannt wird. Richtig cool finde ich, dass sich die Sounds einem bestimmten Hersteller zuordnen lassen sollten. Dann sieht Mercedes nicht nur nach Mercedes aus, der elektrisch angetriebene Wagen aus diesem Autohaus muss auch klingen, als käme er dorther und stünde unter einem guten Stern. Im Internet kann man sich verschiedene Hörbeispiele heraussuchen, um herauszufinden, wie die einschlägigen Marken “elektrisch” klingen. Abgefahren, was?
Für die künstlich erzeugten Fahrgeräusche ist es übrigens sinnvoll, dass sie im mittleren Frequenzbereich liegen. So ist sichergestellt, dass wirklich eine große Menge der Verkehrsteilnehmer die Geräusche wahrnehmen kann. Ältere Menschen können nämlich weder besonders hohe noch besonders tiefe Töne hören.
Ein Getöse wie auf einem Metal-Konzert, wenn mehr E-Autos unterwegs sind?
Vor übermäßig lauten Geräuschpegeln muss niemand Angst haben. Der Geräusch-Generator schaltet sich automatisch bei jedem Start des E-Autos ein. Doch sinnvollerweise kann er per Knopfdruck deaktiviert werden, sobald man unterwegs ist, was zum Beispiel auf einem einsamen Waldweg sinnvoll scheint, der sowieso menschenleer daliegt und nicht viel Geschwindigkeit zulässt.
Außerdem tüfteln Ingenieure weiter an einem gebündelten Signal, das man gerichteter Schall nennt: Dabei wird nicht die gesamte Umgebung beschallt, sondern nur der Bereich, auf den es ankommt: Du würdest bei einem gerichteten Signal/Fahrgeräusch von uns E-Autos nur dann hören, wenn du uns tatsächlich in die Quere kommen solltest.